Konflikte
Auch Radfahrer sind keine Heiligen. „Die steigen aufs Rad und rasen einfach los“, beschwert sich Autofahrerin Ute Umbach. Im Straßenverkehr regt sich jeder über jeden auf.
„Critical Mass“ – unter diesem Namen treffen sich weltweit Fahrradfahrer für mehr Rechte. Radler fahren dann im Pulk durch die Stadt, auch in Köln werden es immer mehr. Wir haben eine „Critical Mass“-Tour begleitet.
Im Gespräch mit einem Fußgänger
„Wenn ein Radfahrer dicht an einem vorbei fährt, kann einem schon anders werden – vor allem wenn man ohnehin schon unsicher auf den Beinen unterwegs ist wie zum Beispiel ältere Menschen. Fußgänger haben ja hinten keine Augen – da sollten Radler schon Rücksicht nehmen. Aber das ist auch eine Frage des Platzes, wie ich finde. In Köln gibt es sowohl unproblematische als auch problematische Beispiele: Die Breitestraße beim WDR ist sehr belebt und es gibt viele Radfahrer und Fußgänger. Daher sind die Radfahrer schon darauf eingestellt, dass sie „bei Fußgängern zu Gast sind“ und fahren dementsprechend langsam.
Am Rheinufer an der Altstadt hingegen ist die Erwartung eine andere – über lange Strecken können Radfahrer hier unbehindert schnell fahren und werden dann ungeduldig und manchmal rücksichtslos schnell, wenn sie schließlich dort auf viele Fußgänger treffen. Am besten wäre es, wenn mehr Platz für beide vorhanden wäre und die verschiedenen Parteien einander besser ausweichen könnten.
In Ehrenfeld werden zunehmend Pkw-Stellplätze zum Fahrradparken gekapert, was die Situation für Fußgänger nicht verbessert. Denn nicht nur Pkw werden rücksichtslos auf die Gehwege geparkt, auch viele Fahrräder sind auf schmalen Bürgersteigen so gedankenlos abgestellt, dass Mütter mit ihren Kinderwagen kaum vorbei können. Das betrifft auch das Fahrradparken auf dem Bürgersteig; gerade für Blinde mit Langstock kann ein abgestelltes Fahrrad ein Hindernis sein.“
„Fußgänger haben ja hinten keine Augen!“ Jörg Thiemann-Linden, 61 Jahre
Im Gespräch mit zwei Fahrradfahrern
„Ich hatte schon einige Unfälle beim Radfahren“Hein-Jürgen Borchers, 86 Jahre
„Als Radfahrer muss man in Köln tierisch aufpassen“
Monika Faßbender, 57 Jahre
„In die Innenstadt von Köln traue ich mich nicht mehr, da ist es mir zu gefährlich. Im Bergischen Land gibt es mehr autofreie Strecken. Ich habe keine Angst, aber in meinem Alter will man ja nichts mehr riskieren. Ich hatte auch schon einige Unfälle beim Radfahren. Und man hört ja immer mal wieder, dass Leute verunglücken. Trotzdem: In meinem Leben spielt Fahrradfahren eine große Rolle im Leben. Ich selbst fahre seit 50 Jahren regelmäßig Rad. Davor war es nur ab und zu. Ich habe auch schon an Senioren-Radrennen teilgenommen und bin immer auf den vorderen Plätzen gelandet. Einmal war ich sogar Vize-Weltmeister. In der Woche fahre ich dreimal, jeweils etwa 70 Kilometer. Wir fahren in der Gruppe. So macht Radtraining einfach am meisten Spaß.“
„Ich fahre jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit nach Leverkusen. Das sind etwa elf Kilometer. Dadurch werde ich morgens so richtig wach. Nur der Verkehr ist oft nervenaufreibend. Als Radfahrer muss man in Köln tierisch aufpassen. Einmal hatte ich schon einen schweren Unfall, weil ein Autofahrer mich übersehen hat. Die Rücksichtlosigkeit ist einfach sehr groß. Oft wird nicht geblinkt – und dann einfach abgebogen. Auch werde ich des Öfteren nur mit knappem Abstand überholt. Es gibt auch Probleme mit Fußgängern. Wenn ich klingle, damit es keinen Unfall gibt, regen sich die Fußgänger auf, weil es sie dann stört. Und wenn ich nicht klingele, ist es auch falsch. Ich bin trotzdem abends entspannter, als wenn ich mit dem Auto im Stau stehen würde.“
Im Gespräch mit einer Autofahrerin
„Die steigen aufs Rad und rasen einfach los!“Ute Umbach, 61 Jahre
„Ich hatte schon zwei Unfälle mit Radfahrern. Bei dem einen ist mir ein kleiner Junge gegen das Auto gefahren. Ich war schon langsam unterwegs, aber er ist einfach ohne zu gucken aus der Seitenstraße geschossen. Zum Glück ist ihm nichts passiert, aber der Schreck war groß, und ich hatte hinterher eine Delle im neuen Auto. Bei dem anderen habe ich gerade geparkt und wollte aussteigen, ich habe noch extra im Spiegel geschaut, ob da jemand kommt. Weil ich niemanden gesehen habe, habe ich die Tür aufgemacht, und dann ist eine Studentin gegen die offene Tür gerast. Das ist der Alptraum eines jeden Autofahrers. Aber die kam mit so einem Tempo an, da konnte ich nichts machen. Die Radfahrer sind zu schnell unterwegs und fahren zu unbedacht. Die steigen aufs Rad und rasen einfach los! Klar sind manchmal auch die Autofahrer schuld am Chaos – zum Beispiel, wenn sie in zweiter Reihe parken. Das ist ein echtes Problem in Köln. Mir fällt das regelmäßig in der Subbelrather und der Berrenrather Straße auf. Aber es lässt sich in Köln einfach nicht vermeiden, weil es zu wenig Platz gibt. Ich finde auch das Verhalten vieler Radfahrer nicht gut. Viele sind sehr aggressiv unterwegs und fahren, wie sie wollen und vor allem viel zu schnell. Als Autofahrer muss ich ganz vorsichtig unterwegs sein und mich immer umschauen, ob nicht irgendwo plötzlich ein Radfahrer auftaucht.“
Wer nicht bei Rot hält, muss mit einem Bußgeld, Punkten in Flensburg oder gar einem Fahrverbot rechnen. In Köln werden trotzdem immer wieder rote Ampeln missachtet. Wir haben verschiedene Kreuzungen jeweils eine halbe Stunde lang beobachtet und die „Rotsünder“ gezählt.
Sechs Fragen an einen Verkehrspsychologen
Die Atmosphäre im Straßenverkehr zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern ist hitzig. Warum sich alle übereinander aufregen und wie man sich die Konflikte sparen kann, erzählt uns Vekehrspsychologe Jürgen Walter.
Warum regen sich alle so auf?
Der Konflikt hängt von zwei Faktoren ab. Erstens ist der Platz auf der Straße begrenzt. Die Autofahrer haben am meisten Platz. Diesen wollen sie auch nicht abgeben. Die Radfahrer und die Fußgänger hingegen wollen mehr Platz haben. Sie wollen, dass ihre Rechte auch gesehen werden. Zweitens – und das hängt damit zusammen: Jeder Verkehrsteilnehmer sieht nur seine eigene Position. Das ist ein psychologisches Phänomen. In meiner Position vertrete ich meine eigenen Rechte: Wenn ich Autofahrer bin, rege ich mich über die Radfahrer auf, die unvorsichtig fahren, doch sobald ich aufs Rad steige, beschwere ich mich über die Autofahrer, die nicht genug aufpassen.
Jürgen Walter ist Verkehrspsychologe in Düsseldorf und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. Als Verkehrspsychologe berät er Stadtverwaltungen dabei, Straßen und Kreuzungen verkehrssicher zu gestalten. Auch die sogenannte medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) fällt in sein Aufgabengebiet, der sich Verkehrssünder unterziehen müssen, wenn sie ihren Führerschein behalten wollen.
Aus Spaß könnte man jetzt sagen: Die Leute hatten eine schwere Kindheit. Natürlich ist es nicht so leicht. Die Menschen, die es so emotional sehen – und das sind Einige – fühlen sich in ihrer persönlichen Freiheit beeinträchtigt. Sie haben nur eine geringe Fähigkeit, ihren Frust zu reflektieren.
Gilt das auch für den Konflikt zwischen Radfahrern und Fußgängern?
Ja natürlich. Nur da ist das Ganze nicht so dramatisch. Rein technisch gesehen steht dort viel weniger auf dem Spiel. Die Beiden können sich gar nicht so gefährlich werden. Auf der emotionalen Schiene gibt es aber keine Unterschiede.
Gibt es den typischen „Kampfradler“? Wie sieht er aus?
Die Tendenz dazu gibt es auf jeden Fall. Auch er lässt Frust, Ärger und Ungeduld im Verkehr aus. An dieser Stelle muss man die „Illusion der eigenen Unverletzlichkeit“ erwähnen: Der Teilnehmer fühlt sich als besonders sicherer und guter Fahrer, so dass er sich es natürlich herausnehmen kann, Regeln zu missachten. Das gilt natürlich nicht nur für „Kampfradler“. Dieses Phänomen tritt auch bei Autofahrern auf.
Was kann der Einzelne tun, um Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern zu entschärfen?
Wenn es hoch her geht, sollte man sich fragen: „Warum rege ich mich denn jetzt so darüber auf? Der Andere will mir doch nichts Böses.“ Man sollte die Sache sportlich sehen. Also nicht: „Jetzt parkt der da in zweiter Reihe, weil er mir persönlich schaden will.“
Was kann der Staat tun?
Die Aufklärungsarbeit müsste schon im Kindergarten und in der Schule anfangen: Die Menschen müssen lernen, mit ihren Emotionen umzugehen und ihre soziale Kompetenz stärken. Ansonsten bleibt nur die Härte des Gesetzes: Vor einigen Wochen hat ein Berliner Gericht zwei Männer nach einem Autorennen wegen Mordes verurteilt, weil sie einen Fußgänger zu Tode gefahren hatten. So etwas ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Verkehrsquiz
Was müssen Radfahrer im Straßenverkehr beachten? In diesem Quiz können Sie testen, ob Sie sich in kritischen Situationen richtig verhalten würden. Wer ist im Zweifel im Recht: Rad- oder Autofahrer?